21.11.2011

die unfreiheit, zu protestieren

sophie hunger berichtet im rahmen ihrer us-tour "vom leben und sterben amerikas". amerika im fokus der bewegten frau hunger - eine vergnügliche lektüre. mit der gebotenen distanz der forschungsreisenden ergeben sich interessante makroaufnahmen amerikanischer eigenart. die aufzeichnungen leben von den eigentümlichen und bisweilen schrulligen ansichten ihrer interpretin. hunger verteidigt die partikularität ihrer eindrücke und vermeidet so den kopfschüttelreflex, welcher viele heimsucht, sobald das wort auf die eine oder andere angewohnheit der amerikaner fällt.
ihr schreibstil ist aber ein eigentliches menetekel. vielmehr als der gegenstand ihrer worte, öffnet der nämlich einen raum zwischen den zeilen und ja - nach jedem punkt. hier entfalten die angereicherten eindrücke ihre sinneskraft und wirken - ganz ohne empörung einzuflössen. die verheissungsvolle kraft folgt aufs lesen. und das ist bemerkenswert heutzutage, wo worte uns fristlos rühren sollen, wie donnerschläge und meinungen als universelle erkenntnis gebrandmarkt werden.

in folge sechs - "amerika entstand aus der revolte" - beschreibt sie den protest, der sich kürzlich rund um den globus ereignete und trifft damit den kern der sache:


"Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre der Marsch, die Straße, das Plakat, die Menge, der Arafatschal, die Trillerpfeife, die Polizei, das Megafon, die Route, der Sprechgesang und selbst der Körper nichts als Teil eines anderen, großen Mythos. Spielen wir Demonstration, so wie wir es kennen von den Bildern aus unserer Vergangenheit? Wurden diese Gesten, Grimassen und Requisiten nicht entwickelt an einem Feind, um den es hier gar nicht geht? Wir fordern nicht den Kopf des Königs, des Despoten oder Polizeistaates. Wir opponieren gegen das Resultat unserer vermeintlichen Errungenschaften. Wie zersägt man den Ast, auf dem man sitzt? Wie entkolonialisiert man Afrika? Und wie, liebe ZEIT-ONLINE-Leser, wie dekonstruiert man Geld?"


der protest, eine totgeburt? unser sättigungsgefühl hat sich mit dem widerstandsverständnis von damals ins bett gelegt. die frucht dieser verbindung ist ausgestattet mit einer erbanlage, die nicht dazu taugt, zu verrichten, was so dringend nötig gewesen wäre. nämlich zündender funke zu sein.


dem unfrieden, welcher uns heute die galle hochtreibt, fehlt ein neuer name.

wir haben es uns verdient, so zu liegen, wie wir uns gebettet haben. ganz im gegensatz zu yoko und john. sie legten sich in das biedere bett ihrer zeit, legten sich eben da hinein. wohl wissend, dass es das bett  ihrer eltern und grosseltern war, in welchem sie die kameras dieser welt als fremdkörper und anpranger aufzeichneten.
unsere betten hingegen sind gemacht - und zwar von uns selbst. aller aufgebrachte ernst in der eigenen entscheidung, heutige zustände nicht zu billigen und dies mit plakat und buntstift zu proklamieren, verkommt damit zu kümmerlicher inszenierung. denn in wirklichkeit wurde diese unbill längst annektiert. der widerstand ist heute eine gut frequentierte einbahnstrasse im verkehrszentrum unserer multioptionsgesellschaft. sie zu fliehen heisst einfach, woanders mitzumachen.

kürzlich kam die frage auf, weshalb sich gelehrte und schriftsteller unserer zeit nicht bemüssigt fühlen, die krisen und proteste mit ihren klarheit schaffenden blicken zu bedenken. vermutlich tun sie nur gut daran und halten sich schadlos. denn die vernünftigen werden bemerkt haben, dass in diesem fall die mittel den zweck entheiligen.

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