12.09.2010

Administrativ (unter)versorgt

Angesichts dieser Schlagzeilen, rund um die willkürliche Isolation von auffällig gewordenen Personen von 1942 bis 1981, stellt sich mir immer dringlicher eine Frage: was passiert mit Menschen, die - zu Recht oder Unrecht - ihr Vertrauen in den Staat verlieren?
Opfer werden zu Tätern - werden zu Opfern. Höchst subtile Vorgänge, deren Dynamik selten mehr zu durchbrechen ist, treten an die Stelle eines Gefühls des Behütet-Seins. Jede Person darf in einem Rechtsstaat darauf zählen, seine oder ihre Unversehrtheit und - darüber hinaus - den Schutz individueller Interessen gewahrt zu sehen. Wird diese Erwartung mehrfach oder in besonders kruder Weise enttäuscht, hat das Individuum mit groben Interferenzen in seiner Wahrnehmung der Obrigkeit zu kämpfen. Ein Paradoxon tritt zu Tage: gerade weil Demokratie und Rechtmässigkeit hierzulande als gefestigt und beispielhaft gelobt werden, kann mit dem Unverständnis, gleich etwa demjenigen, welches die zurückweisende Mutter bei einem Säugling hinterlässt, nur schwer umgegangen werden. Man hält derartige Zustände gemeinhin für nicht möglich, - und erfährt sie ungeachtet dessen am eigenen Leibe.
Dieses Unverständnis einer missachteten Pflicht gegenüber kann weder in der subjektiven Empfindung der Betroffenen, noch im gesellschaftlichen Kontext geheilt werden. Das Urteil des Nicht-Passens haftet ihnen an, in der eigenen und in der Fremdwahrnehmung.

Ich finde es erstaunlich, welchen Einfluss die staatliche Fürsorge auf unser Wohl ausüben kann. Wir scheinen darin nicht nur etwas Grundlegendes zu finden, was unwiederbringlich an unser Empfinden als Teil der Gemeinschaft gebunden ist. Sondern eine übergeordnete raison d'être. Nur in diesem Sinn lassen sich meiner Einschätzung nach Taten, wie aktuell diejenige in Biel erklären.

Im Fall der Administrativ-Versorgten von Hindelbank stellte es für die Betroffenen ein kaum zu bewältigender Kraftakt dar, jemals wieder in ein geordnetes Leben zurückzufinden. Die meisten sind daran zerbrochen, wie die Schicksalsberichte auf der Seite http://www.administrativ-versorgte.ch/ zeigen.
Die längst fällige Entschuldigung an die Betroffenen lässt an eine gute Regierungsführung im Sinn eines lernenden Staates glauben. Zugleich sollte man sich aber gewiss sein, dass gerade dieser Glaube in gewissen Fällen alles empfundene Unrecht umso schlimmer macht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

be nice!