25.10.2010

Informationsdesaster

Kürzlich liess ich mich unterrichten, dass man beim Eidgen. Kontroll-Zentrum für Empathie und Mitgefühl (EKZEM) Kulturatteste beantragen könne. Es handle sich dabei um Dokumente, die grundsätzlich jedem mündigen Schweizer Bürger zustünden. Ich gab mich ungläubig, da ich weder von einer derartigen Fachstelle, noch von besagten Attesten jemals gehört hatte. Ich ging, um ehrlich zu sein, davon aus, ordentlich verschaukelt zu werden. Zumal der Informant alles andere war, als eine Quelle realitätsbezogener Wahrheiten. Das Medium ist die Botschaft und in diesem Fall sah ich mich dazu veranlasst, mit äusserster Vorsicht zu geniessen, was ich da hörte. Denn diese Person vertrat Positionen, welche sich für unbescholtene Bürger als kaum nachvollziehbar erwiesen. Das ging soweit, dass mir bei dafür günstiger Gelegenheit von Früchten erzählt wurde, welche nur zu eben jenem Zweck existierten, durch ihr absonderliches Aussehen das Leben von besagter Person zu behelligen und im Allgemeinen zu erschweren. Diese Position gab keinerlei Auskunft über eine Realität, welche diesen Früchten zuzuschreiben war, sondern lediglich über die Laune des Informanten, mit der Beschaffenheit von gewissen Früchten nicht einverstanden zu sein und diese in irgendeinem Widerspruch zu seinen Ansichten zu sehen.

Doch die Launen des Informanten waren des Öfteren in einer unbequemen Art ergiebig. Seinem Stande als Informant gemäss, verhielt er sich gewöhnlich sehr konspirativ. Der hochgeschlagene Kragen seines zu eleganten Burberry-Mantels stach ihn mehrfach ins Auge, wenn er mich seitlich mit listigen Augen zu fokussieren versuchte. Dieser Mann empfand die Welt als widrig und kämpfte mit Argwohn gegen das Abfinden mit den Umständen. Er benutzte flüchtige Eindrücke um sich immer wieder gegen dieses und jenes aufzuwiegeln. Das bereitete ihm zwar sichtlich Mühe, denn seine Empörung war gesucht und anstrengend konstruiert. Trotzdem konnte man ihm einen gewissen Scharfsinn nicht absprechen. Auch wenn seine Schilderungen und die Schlüsse, die er daraus zog, von wilder Beliebigkeit mehr hatten, als von Abstraktionsvermögen, so konnte er doch Zuhörer mit seinen Reden in den Bann ziehen. Präzis traf er damit einen eigentümlichen Nerv und bald zogen sich seine Einwände wie gähnende Risse in die eigenen, verdichteten Gesinnungen. Man konnte ihn auslachen, während er unbemerkt und entgegen jeder Vernunft ins Innerste vordrang und dort Absurdität in Realität verwandelte. Soviel zur merkwürdigen Erscheinung des Informanten, welcher nun weiter auf das zweifelhafte Kulturattest einging.

Schweizer seien allgemein ja ein äusserst kultiviertes Völklein, fuhr dieser fort. Es sei daher nicht verwunderlich, dass man sich im internationalen Vergleich durch eine Sonderleistung auf diesem Gebiet hervortun wolle. Man strebe damit nämlich nicht eine kulturelle Vormachtstellung an. Im Gegenteil, das Attest ziele darauf ab, eine Kultur des allgemeinen Kultur-Schätzens anzuregen und Attestierte oder Aspirierende von den Vorzügen anderer Kulturen in Kenntnis zu setzen.

Ich bestand darauf, dass es sich dabei um einen grotesken Scherz handeln müsse. Wenn nicht von offizieller Seite, dann müsse ihm sein Hirn einen bemitleidenswerten Streich spielen. Denn was der Informant an Gründen für dieses Attest anfügte, schien mir zutiefst befremdend und ich fragte mich, ob ich mich nicht woanders hinsetzen sollte, um mir die Peinlichkeit seiner Rede zu ersparen.

Aber der Unsägliche begann, offensichtlich animiert durch meine Skepsis, auf einmal lauter zu referieren. Ausserdem schien er jetzt von einer sorgfältigen Ausdrucksweise, in sprachlich härtere Gangart zu verfallen. Ich quittierte diese Nachlässigkeit mit einem vorgetäuschten Spontanschlaf. Ich legte meinen Kopf an die hohe Sitzlehne und schob mir den Hut tief ins Gesicht. Ich streckte mich so offensiv, wie nur möglich und schickte mich an, auf der Stelle einzuschlafen. Dieses Manöver gelang mir vorzüglich. Es regte sich Freude in mir, den Informanten, welcher sich der Aufmerksamkeit, die man ihm schuldet, allzu bewusst war, im eisernen Griff zu haben. Er empfand meine perfide zum Ausdruck gebrachte Abneigung gegen sein Geschwätz als Affront und kritisierte daraufhin meine Manieren aufs Gröbste.

Mittlerweile gut in Fahrt und für die Umgebung einer Kinovorführung unbestritten zu laut, sagte er vom Kulturattest, dass es ebensolche Kriterien, wie den gesitteten Umgang untereinander bewerte. Er fügte an, dass ich wohl verschwindend geringe Chancen hätte, mit meinem rücksichtslosen Benehmen die Anforderungen für das Attest zu erfüllen. Ich würde höchstwahrscheinlich noch nicht einmal zugelassen, zu aspirieren. Mit dem Zucken meiner Schultern liess ich ihn wissen, dass mir nichts daran gelegen sei, dafür zu aspirieren.

Ob ich denn nicht verstehe, fragte er fassungslos. Es sei doch selbstverständlich, dass es das Ansinnen jedes fortschrittlichen und liberalen Individuums der heutigen Zeit sein müsse, in diesem Rahmen attestiert und ausgezeichnet zu sein. Die Sorglosen und Rückständigen erwiesen sich selbst keinen Gefallen, mit ihrem verachtenden Glauben an eine stille Übereinkunft. Denn das Gefüge, welches sich schlussendlich ergeben solle, dulde kein Wuchern und Ausscheren. Dafür und aus weiteren Gründen, welcher ich mich nicht mehr zu entsinnen vermag, brauche es verantwortliche Menschen, welche ihrer Vorstellung von Kultur und Zusammengehörigkeit Ausdruck verliehen. Ein Völklein, das an einem Punkt in seiner Entwicklung angelangt sei, an welchem es mit der Vielfalt kultureller Ausprägungen nicht einfach ungeplant weiter verfahren könne, wie ehemals, täte gut daran, sich vorzusehen. So wie die Sache liege, sei es doch sehr zu begrüssen, werde hier von höchster Stelle der Befehl an mündige Bürger erteilt, sich zu organisieren. Es könne keine höhere Berufung geben, als dem Zusammensein hier in diesem Staate einen solchen Dienst zu erweisen.

Unter meinem Hut begann ich mich nun sehr zu ärgern. Meine Scheinschlafstrategie gab ich kurzerhand auf und fragte mich, wozu ein derartiger Informant gut sei. Einer, der sich so ereifert – und sich ergeht in anstössiger Phantasterei – kann zu nichts Nutze sein.

Der Informant schien mein Schnauben unter dem Hut zu vernehmen und sah sich zu weiteren Ausschweifungen veranlasst. Durch eine wohlgeplante Entwicklung der Kultur, könne sie ihrer gefährlichen Spitzen beraubt werden, fügte er an. Denn handle es sich nicht ausnahmslos um die Zuspitzungen, - die unbändigsten Auswüchse von Kultur, welche die Gemeinschaftsgefühle zu unterwandern vermögen? Entzündet sich der Kampf um Kultur nicht immer an ihrer kompromisslosesten Ausgestaltung?

Mit viel Pathos und affektierten Pausen stellte er diese Fragen, wie an eine imaginäre Richtinstanz. Ich hoffte kurz, dass eben jene imaginäre Instanz, Kraft seiner Phantasie, seinen Ausführungen Einhalt gebieten möge. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen lehnte sich der Informant zurück, nahm eine denkerische Pose ein und war im Begriff, mit dem Zeigefinger am rechten Wangenknochen und den Blick schräg aufwärts über seinen Kragen gerichtet, von neuen Absonderlichkeiten zu berichten.

Ich sah meine Zeit gekommen, schwang meinen Mantel über den Unterarm und verliess das Kino grusslos und mit demonstrativ angewidertem Gesichtsausdruck. Der Informant verstummte. Bis zum Ausgang fühlte ich seinen Blick auf mir haften. Als ich die Türe zum Saal schliessen wollte, fiel ein Schimmer des projizierten Filmes auf sein mir noch immer zugewandtes Gesicht. Der Informant sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und wandte sich, als er sich meines Blickes sicher war, wieder der Leinwand zu.

Es waren alle Zweifel auszuräumen, das Konstrukt des Informanten entspreche in irgendeiner Form der Wahrheit. Die Leitkultur mit Bürgerbeteiligung blieb ein beunruhigendes Gespinst und ich ertappte mich dabei, wie ich mit hochgeschlagenem Mantelkragen durch die Gassen huschte, überall hin konspirativ spähend, bereit seine Zeichen zu deuten.

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