29.01.2012

Bouvard et Pécuchet von Gustave Flaubert - eine Geschichte zwischen Inspiration und Ignoranz

Bouvard's und Pécuchet's Wissensdurst steht die Aussage gegenüber, es handle sich bei ihrer Geschichte um eine Beschreibung der menschlichen Dummheit. Bouvard und Pécuchet versuchen sich nacheinander in ganz verschiedenen Disziplinen der Wissenschaften und Künste. Je grösser der Eifer der beiden zu Beginn ihrer Abenteuer ist, desto mehr empören sie sich über das Scheitern ihrer Projekte. Dabei machen sich Bouvard und Pécuchet niemals Eingeständnisse, was die Qualität ihrer eigenen Motive angeht. Ihr Interesse ist rein und der Anspruch an dessen Verwirklichung absolut. Ebenso launenhaft, wie ihr intellektueller Blindflug durch die Wissenschaften, beginnt das Gelernte sie umzutreiben. Unzulänglichkeiten und Widrigkeiten lassen sie vom Glauben an das rationale und geordnete Leben abfallen. Sie entwickeln sich in der Wahrnehmung Anderer zu Anarchisten, für die Werte und Pietät nur Fortschrittshindernisse bedeuten. Ihr angestrebter Erkenntnisgewinn unterliegt keinerlei Selektion. Der Hypothese, als auch deren Entkräftung sowie dem neuerlichen Entwurf messen sie uneingeschränkte Geltung bei. Sie vernachlässigen ihre Prämissen und Veranlagungen ebenso, wie die eigene Tauglichkeit und leben in einer Dimension, in der alles gilt, jedoch nichts wahrhaftig ist.

Ihr launenhafter Wissenserwerb wird rasch einem Attraktionstest unterzogen. Die Präsentationen werden als gesellschaftliche Ereignisse auf dem landwirtschaftlichen Gut der beiden inszeniert. Dabei benutzen sie schamlos ihr Umfeld, welches der Zeit entsprechend weniger aus Freundschaften, als aus standesgemässen Kontakten besteht. Für Unverständnis oder gar Widerspruch aus dem konsternierten Publikum bringen Bouvard und Pécuchet keinerlei Verständnis auf. Im Gegenteil, schnell fühlen sie sich missverstanden und reagieren ungehalten. Da ist es dann auch kein langer Weg, bis zu den ersten verbitterten Bemerkungen über die Ignoranz oder den mangelhaften Intellekt ihrer undankbaren Bekannten. Besonders das letzte Kapitel, in welchem Bouvard und Pécuchet zwei Zöglinge direkt an ihrem Wissensschatz teilhaben lassen wollen, zeugt vom tölpelhaften Unvermögen der beiden, Verständnis für Moral und Sitten als Grundlagen eines tugendhaften Lebens weiterzureichen. Derart zur Schau gestellt, wird ihrem Wissen kein Wert anerkannt. Nur den Präsentationen selbst bekunden einige Wenige einen skurrilen Unterhaltungswert. So werden sie selber zu Attraktionen. Im Dorf sind sie bekannt, wie bunte Hunde, über die das geringste Volk verächtlich den Kopf schüttelt.






Diese Ignoranz im Wissen-Wollen ist die eklatante Dummheit Bouvard's und Pécuchet's. Sie ist hart erkämpft und äussert sich mit nervöser Penetranz. Im Gegensatz zur heutigen Zeit, bedeutete es für sie grosse Anstrengungen, zu den Mitteln zu kommen, die ihren Wissensdurst stillten. Der Roman spielt Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Das Wissen stand damals nur einer erlesenen Gemeinschaft zur Verfügung. Die Auswahl ihrer Quellen erfolgte nach einem Wirksamkeitsprinzip: konnte der Inhalt einer Lehre vor den eigenen Erfahrungen oder vor Publikum nicht bestehen, so war sie in den Augen Bouvard's und Pécuchet's widerlegt und zu nichts nutze. Mit der Hartnäckigkeit von Betrogenen sind sie auf der Suche nach einer Wahrheit, die sie in ihrer Vorstellung nur immer wieder hinters Licht führt.

Insgesamt nahm die unvollendete Schrift Gustave Flaubert's eine Entwicklung vorweg, welche sich bis heute zuspitzt. Der Eifer, wissen zu wollen, begann mit der Verfügbarkeit von Wissen und Information zu wachsen. Die Geltungssucht der Informationen reizt unsere Wissbegier umso mehr. Ein Mahlstrom der Unstillbarkeit tut sich auf. Jeder kann alles in Erfahrung bringen, zu jeder Zeit. Ein vertieftes Verständnis für die Materie und deren Anbindung an ihre Umgebung - die wahrhaftige Komponente des Wissens - wird immer seltener erlangt. Die Demokratisierung des Wissens hat so eine Abwertung desselben zur Folge. Seine spektakuläre Inszenierung transformiert Inhalte zu Tupfern in einem Mosaik, dessen Einzelteile nicht zusammenpassen wollen.

Nach allen Misserfolgen haben sich Bouvard und Pécuchet darauf beschieden, wieder zu ihrem alten Beruf zurückzukehren, da "ihnen alles unter ihren Händen in Stücke zerbrochen ist". Wenn alle Stricke reissen, sind wir also doch einfach das, was wir sind und erst dann ist das auch genug wert. Ein Effekt, welcher der rasanten Differenzierung vieler Lebensbereiche folgt, lässt sich an dieser Schlusswendung in Flaubert's Roman ablesen.
In einer Gesellschaft, die vorgibt, jedem von uns eine Unzahl von Angeboten offenzuhalten, agiert man bald mit Resignation. Jede ungenutzte, dieser potenziellen Möglichkeiten, schlägt imaginäre Krater in die eigene Vita. Und auch hier ist viel Bouvard'scher und Pécuchet'scher Eifer zu entdecken. Es scheint, als müsste in dieser Welt voller Optionen der Mensch bis auf seinen Kern abgerieben werden, in einer Mühle zwischen Wissen und Wollen, um schlussendlich zu seinem Selbstwert zu finden. Nach dieser Odyssee bleibt eine Reduktion übrig, ein Fragment unserer selbst, das blendet mit seinem Schliff und Glanz. Weshalb aber hüten wir dieses Schmuckstück vor neugierigen Blicken und verdecken nach Möglichkeit seine unprätentiöse Schönheit? Weil sich darin alle unsere verlustreichen Kämpfe spiegeln, die wir auf dem Weg zu diesem bescheidenen Gewinn ausgefochten haben. Es steht stellvertretend für den Verlust aller Möglichkeiten. Bouvard und Pécuchet haben für ihre bescheidene Erkenntnis, dass ihr ursprünglicher Beruf doch gut genug für sie sei, mit dem Verlust von Träumen und Hoffnungen bezahlt.

Es ist schwierig, dem antiken, griechischen Orakelspruch Genüge zu tun, wonach es Ziel jedes Menschen sei, sich selbst zu erkennen. Heute wie ehemals. Die Vielfalt an Werkzeugen, die man uns heute zum Sichern und Erleichtern des Wegs reicht, ist überwältigend. Umso mehr Achtsamkeit ist geboten bei deren Auswahl.

bastard post

zwei songs. 2011 vs. 2012. entscheidet selbst.




grace jones - well well well dub (hurricane)







alabama shakes - be mine (live on kcrw/morning becomes eclectic)
a voice to be heard

19.01.2012

trust



trust - bulbform
is it your darkest hour? rave!









trust - candy walls
with love from last spring




edit: das debut album trst ist auf den 28. februar angekündigt.


a quick one

eigentlich ist es zu früh, irgendetwas über me and my drummer zu sagen. weiblicher jemand mit starker stimme und piano, beschäftigt einen schlagzeuger mit starkem bums. oder umgekehrt. auf ihrem blog gibt's viel dank an die städte, welche ihnen eine bühne geboten haben. das lässt sowohl auf vorzügliche manieren, als auch auf gelungene darbietungen schliessen. ihr debut album gibt weiteren anlass zu spekulationen. darüber kann man sich auch im internet gerne mal ausschweigen. im video über diffuse lichtquellen und aggressionsverhalten gegenüber nahrungsmitteln, gibt's ausserdem den song you're a runner zu hören.




17.01.2012

bastard post

zwei videos. 2011 vs. 2011. entscheidet selbst.



die antwoord - fok julle naaiers (tension)






all blacks haka






für einmal sind die clips nicht nach deren klanglichem gehalt ausgewählt worden. es geht um vegetative instinkte, die hier doch ganz glaubhaft dargestellt werden.

14.01.2012

adrian younge - black dynamite / venice dawn

er schrieb einen blaxploitation-soundtrack zu einem film, den er selber editierte. dann veröffentlichte er eine ep, deren soul schwer war von psychedelik und fuzz. das alles ist lange her. bei weitem aber nicht so lang, wie man vermuten könnte.

die ep venice dawn ist heute dank des magazins wax poetics wieder verfügbar. nicht nur das - sie wird verschenkt! den song turn down the sound, in meinen ohren ein ganz besonderes schmuckstück, gibt's nur auf der vinyl edition der ep zu kaufen



adrian younge - shot me in the heart (black dynamite ost)









adrian younge - turn down the sound (venice dawn ep)

07.01.2012

he taught me to burn

ein hitziges folk-soul fest zu beginn des drachenjahres.








big maybelle - 96 tears

brenda lee - the crying game

marie owens - the devil's song

howard tate - shoot 'em all down

cooley/munson - sightly sue

mauroks - susan

france gall - les petits ballons

helen banks - do you know

gunga din - crabcakes

orchestre du bawobab - kelen ati len

raymond winfield - things could be better

howard tate - stop

04.01.2012

tim buckley - die musik der sirenen





tim buckley war ein aussergewöhnlicher musiker. als komponist und liederschreiber bewegte er sich ausserhalb der gängigen konventionen. dem konsens des protestlieds, der zu jener zeit an west- und ostküste zelebriert wurde, entsagte er mit der melancholie seiner folksongs bereits auf den ersten beiden alben. buckley's extensives stimmspektrum ist das vordergründige alleinstellungsmerkmal seiner musik und gleichzeitig der grund ihrer verstörenden ausdruckskraft. sie irritiert und provoziert eindringlich ein unmittelbares urteil. mal treiben einem ihr wehklagen, das fisteln und stöhnen die schamröte des zufälligen voyeurs ins gesicht, mal stellen sich einem die nackenhaare auf, wenn sie von dämonen und geistern getrieben gellt und kreischt. an ihr allein entscheiden sich wohlgefallen oder zerwürfnis.

tim buckley's karriere ist in ihrem verlauf unvergleichlich. sein künstlerisches repertoire war von einer rücksichtslosen unzeitigkeit geprägt und entzog sich konsequent der herkömmlichen, kommerziellen verwertung. buckley legte keinen wert darauf, mit einer aktuellen aufnahme auf konzerttournee zu gehen. er hielt sich nicht auf, mit der darbietung seiner errungenschaften und bewegte sich nach der fertigung eines albums bereits in komplett anderen klanglichen sphären. die zuneigung des publikums beschränkte sich so stets auf eine gewisse aufnahme und konzentrierte sich nie auf den künstler selber.

zuschreibungen liess buckley gnadenlos ins leere laufen. mit den experimentellen auswüchsen seiner musik schien es zudem so, als ob buckley es geradezu darauf anlegte, die kleine anhängerschaft zu quälen und ihr trotzig die tür zu weisen. diese schaffensart lässt einen unbändigen verwirklichungsdrang vermuten, der selbst unter hohem leidensdruck - man nehme da beispielsweise das manko finanzieller mittel, mit welchem buckley zeit seines lebens zu kämpfen hatte - nicht versiegte. alles an ihr zielt hin, auf das rastlose verglühen im enthemmten eifer.





die bedrückende polarität tim buckley's musik hinterlässt tiefe spuren. gewährt man ihr die uneingeschränkte entfaltung, entsteht ein schauerlicher hang zu ihr. ich kann nicht umhin, als den gefallen an ihr pathologisch gefärbt zu sehen, einer doppelbindung nicht unähnlich. denn keine musik, die ich kenne, spielt erbarmungsloser mit zuckerbrot und peitsche. selbst die momente totaler harmonie tragen den keim der verwüstung in sich - und man sehnt sie sich herbei, nur dass es schnell wieder vorüber sei.
trotz ihrer kompromisslosigkeit ist die musik nicht selbstbezogen oder unzugänglich. bitter aber schmeckt die musik von tim buckley, gerade in ihren lieblichsten passagen.




tim buckley - driftin' (lorca)





tim buckley - buzzin' fly (happy sad)





tim buckley - phantasmagoria in two (goodbye and hello)





tim buckley - venice mating call (live at the troubadour 1969)





tim buckley - valentine melody (s/t)





tim buckley - sweet surrender (greetings from l.a.)